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Stärkung gesundheitsförderlicher Lebensbedingungen – Handlungsvorschläge für eine "Gesundheits"-Politik, die diesen Namen verdient1

Alf Trojan & Heiner Legewie
[Forum Gemeindepsychologie, Jg. 12 (2007), Ausgabe 1]

Zusammenfassung

Es werden Handlungsstrategien zur Stärkung von Gesundheitsförderung und öffentlichen Diskursen vorgestellt und anhand konkreter Umsetzungsvorschläge verdeutlicht: 1. Gesamtkonzept und Rahmenplan für Gesundheitsförderung und Prävention entwickeln, 2. geeignete Organisationsstrukturen schaffen, 3. rechtliche und finanzielle Basis absichern, 4. akteursspezifische Programme entwickeln und einrichten, 5. Programm- und Akteurskoalitionen
aufbauen, 6. Innovationsimpulse stärken: Informationspools und Kompetenznetzwerke schaffen, 7. partizipative politische Planungssysteme fördern, 8. Qualifikationsmöglichkeiten und Qualitätssicherung für neue Dialogformen schaffen.

Schlüsselwörter

Gesundheitsförderung, Prävention, Politik, Salutogenese, Netzwerk, Planung, Recht – Partizipation

Summary

Strategies are introduced for health promotion and public discourses. Strategies are translated into concrete suggestions for political action: 1. conceptualizing meta-plans for health promotion and prevention, 2. establishing useful organization structures, 3. ensuring legal and monetary bases, 4. developing and establishing actor specific programs, 5. constructing program- and actor coalitions, 6. enforcing impulses for innovation: Information pools and networks of competences, 7.promoting participative political planning systems, 8. creating possibilities for qualification and quality management for new dialogue forms.

Key words

Health promotion, prevention, policy, Salutogenesis, network, planning, law, participation



Seit 1996 wird eine gründliche Bestandsaufnahme des Problemfeldes Umwelt und Gesundheit durch das Technikfolgen Abschätzungsbüro des Deutschen Bundestages (TAB) durchgeführt.2 Bei Erscheinen dieses Beitrags wird der Endbericht voraussichtlich den Mitgliedern des Deutschen Bundestages vorliegen.3 Die groß angelegte Bestandsaufnahme ist aus dem öffentlich spürbaren Druck entstanden, sich Klarheit zu verschaffen, über umweltverursachte Erkrankungen und darauf aufbauend Handlungsoptionen zu entwickeln, die den Gefahren der Umwelt für die Gesundheit entgegenwirken.

Nach umfassenden Bestandsaufnahmen des Zusammenhangs zwischen Krankheit und Umwelt, also einer pathogenetischen Perspektive, stellte sich die Situation als äußerst komplex und in vielen Bereichen widersprüchlich dar. Zahlreiche "Bewertungskonflikte" kennzeichnen die Situation dieses Problemfeldes und verhindern einfache Lösungsvorschläge. Angesichts dieser Zwischenergebnisse des Projekts entstand der Wunsch, das Problemfeld auch einmal aus salutogenetischer Perspektive zu beleuchten. In diesem Rahmen haben wir ein Gutachten übernommen, auf dem der nachfolgende Beitrag basiert. Wir glauben, dass gerade das Jahrbuch des Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V. ein geeigneter Ort ist, unsere Vorschläge in einer breiteren Öffentlichkeit als es im Rahmen des TAB-Gutachtens möglich sein wird, zur Diskussion zu stellen.

Grundlagen und Rahmen unserer Handlungsvorschläge

Einige kurze Bemerkungen sollen verdeutlichen, warum wir die salutogenetische Perspektive für etwas grundlegend anderes als die pathogenetische Perspektive halten: Medizin gründet sich auf einen "Defizit-Blick". Sie sucht nach Störungen und den Negativ-Faktoren, die diese Störungen verursachen. Für die Beseitigung der Störungen gibt es ein breites Arsenal von Reparaturansätzen. Die Umweltpolitik ist diesem Muster ähnlich: Zumeist geht es auch dort um die Reparatur von Problemen und Störungen. Mit der salutogenetischen Perspektive verändert sich die Blickrichtung. Es wird auf das "Gesunde" fokussiert. Hiervon ausgehend sollen Ansatzmöglichkeiten identifiziert werden, Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität zu erhalten und zu stärken. Anstelle von Reparaturaufgaben geht es dabei um Gestaltungsaufgaben. Mit diesem Satz wird schon deutlich, dass es um ein politisches Programm, nicht aber um menschenfreundliche Ideen weltfremder Gesundheitsapostel oder gar Gesundheitsfanatismus geht. Unsere Vorstellungen stützen sich auf international akzeptierte Leitkonzepte, die bemerkenswerte Überlappungen und Ähnlichkeiten aufweisen. Im Gesundheitsbereich heißt das aus einem weltweiten Grundsatzprogramm der WHO hervorgegangene Leitkonzept "Gesundheitsförderung".

Im Umweltbereich ist ebenfalls aus einem weltweiten Diskurs das Leitkonzept "nachhaltige Entwicklung" hervorgegangen. In beiden Konzepten spielen nicht nur die jeweils eigene Hauptdimension (Gesundheit bzw. Umwelt) eine Rolle, sondern auch sozioökonomische Komponenten. In beiden Fällen geht es um die Gestaltung von Lebensbedingungen zum Wohle der Menschen, - sowohl dieser als auch zukünftiger Generationen. Ein systematischer Vergleich der Prinzipien und Planungsprozesse für gesundheitsförderliche und nachhaltige Entwicklung durch die WHO hat gezeigt, dass die Programme in dieser Hinsicht gleich sind. In Analogie zur Agenda 21 heißt die Fortschreibung des Grundsatzprogramms "Gesundheit für Alle" seit Ende 1998 "Health 21". Eine weitere Ähnlichkeit ist, dass beide Programme in starkem Maße auf die lokale Ebene als Ort der Umsetzung abzielen. Auf dieser Ebene gibt es neue Leitbilder, die zwar aus denselben gesellschaftlichen Bewusstwerdungsprozessen entstanden sind, jedoch nicht unmittelbar aus der internationalen Programmatik abgeleitet wurden. Dies sind die ökologische Stadterneuerung und die soziale Stadtentwicklung.

Im Gesundheitsbereich erlebt die öffentliche (im Gegensatz zur individuellen) Gesundheit als "New Public Health" und "Renaissance des Öffentlichen Gesundheitsdienstes" eine Wiederauferstehung. Public Health, im Deutschen (bewusst im Plural) als "Gesundheitswissenschaften" bezeichnet, ist gleichzeitig ein Leitkonzept und der wissenschaftliche Rahmen für die Begründung und Begleitung der Gesundheitsförderung als Praxis und Politik.
Leitkonzepte sind das Ergebnis von Erkenntnis- und Verständigungsprozessen. Sie enthalten zumeist eine Verständigung über den Weg und das Ziel zugleich. Sie enthalten pragmatische und ethische Komponenten. Sowohl nachhaltige Entwicklung wie auch Gesundheitsförderung sind das Ergebnis einer weltweiten Verständigung darüber, welche Normen für die Gestaltung der Zukunft gelten sollen. Sie setzen darauf, dass trotz der großen Vielfalt unterschiedlicher Interessen gesellschaftliche Querschnittsprojekte wie "nachhaltige Entwicklung", "Gesundheit für Alle" und "soziale Chancengleichheit" nur verwirklicht werden können, wenn sie gemeinsam von vielen Akteuren verfolgt werden. Die weitgehende Übereinstimmung der Leitbilder Gesundheitsförderung und nachhaltige Entwicklung bezieht sich auf die normativen Grundlagen, die politischen Zielsetzungen und Umsetzungsstrategien. Die WHO-Broschüre „City planning for health and sustainable development“ (WHO EURO, 1997b, S. 54) bringt diese Übereinstimmung in einer knappen pointierten Übersicht hervorragend zum Ausdruck (s. Tab. 1)

Tab. 1: Vergleich von Prinzipien und Prozessen für die Planung von Gesundheit und nachhaltiger Entwicklung

Prinzipien Gesundheit für Alle Agenda 21
Gleichheit Ja Ja
Nachhaltigkeit Implizit Ja
Gesundheitsförderung Ja (Gesundheit)
Intersektorale Aktion Ja Ja
Einbezug der Kommunen Ja Ja
Unterstützende Umwelten Ja Ja
Internationale Aktionen Ja Ja
     
Prozesse Gesundheit für Alle Agenda 21
Berücksichtigung bestehender Planungsrahmen Ja Ja
Analyse von Gesundheit, Umwelt u. sozialen Bedingungen Ja Ja
Öffentliche Beratungen über Prioritäten Ja Ja
Strukturen für intersektorale Zusammenarbeit Ja implizit
Zukunfts-Vision Ja Ja
Langzeitplan mit Aktionszielen Ja Ja
Fortlaufende Beobachtung und Evaluation Ja Ja


Auf dem Hintergrund der hier nur sehr kurz angesprochenen Leitbilder und Umsetzungsstrategien haben wir versucht, Handlungsoptionen für eine "Stärkung gesundheitsförderlicher Lebensbedingungen" zu entwickeln. Dabei hat sich gezeigt, dass zwar die gemeindliche Ebene als der eigentliche Ort der Umsetzung eines solchen Programms anzusehen ist, dass jedoch dies nur möglich ist, wenn die politisch darüber liegenden Ebenen durch geeignete Rahmenbedingungen den Prozess fördern und unterstützen. Insofern beziehen sich unsere Vorschläge auf verschiedene politische Ebenen und ihr Zusammenwirken mit der lokalen Ebene. Ein zentraler Gesichtspunkt sowohl der zugrunde liegenden Leitkonzepte wie auch unseres Gutachtens ist die Beteiligung der BürgerInnen im Sinne einer demokratischen Gestaltung ihrer persönlichen Umwelten und Lebensbedingungen. BürgerInnen werden einerseits als Produzenten andererseits aber auch als die Nutznießer einer gesundheitsförderlichen Politik betrachtet. Teilweise kommt das in den folgenden als "Programm- Optionen" gebündelten Vorschlägen unmittelbar zur Sprache.

Handlungsvorschläge

Die Empfehlungen sind in sechs Programm- Optionen gebündelt. Zu jedem Programm wird zunächst die Ausgangslage charakterisiert und ein gemeinsames Oberziel formuliert. Anschließend werden Einzelziele und Maßnahmen für die Umsetzung vorgeschlagen.

Strategische Programm-Optionen

  1. Gesamtkonzept und Rahmenplan für Gesundheitsförderung und Prävention entwickeln,
  2. geeignete Organisationsstrukturen für intersektorale Kooperation schaffen,
  3. rechtliche und finanzielle Basis absichern,
  4. akteursspezifische Programme entwickeln und einrichten,
  5. Programm- und Akteurskoalitionen aufbauen,
  6. Innovationsimpulse stärken: Informationspools und Kompetenznetzwerke.

1. Politisches Gesamtkonzept und Rahmenplan entwickeln

Ausgangslage

Auf allen politischen Ebenen, aber auch in der Wissenschaft und Praxis existiert eine Vielzahl von Einzelkonzepten, Vorschlägen, Forschungsergebnissen und Praxisprogrammen, die sich meist unverbunden auf die Vermeidung von Krankheit und die Stärkung gesundheitsförderlicher Lebensbedingungen beziehen. Die Folgen dieser konzeptuellen und praktischen Zersplitterung sind inkonsequente und ineffektive politische Programme und Vergeudung von Ressourcen durch fehlende Abstimmung und Mehrfachentwicklungen. Darüber hinaus fehlen definierte Ziele und darauf aufbauende Prioritäten für die Gesundheitsförderungspolitik. Die von der vorigen Bundesregierung vertretene Meinung, dass ein Gesamtkonzept nicht nötig und wegen der föderalen Struktur der Bundesrepublik nicht möglich sei, wird von uns nicht geteilt: Auch noch stärker föderal organisierte Länder, wie die USA und die Schweiz, haben nationale Gesundheitspläne und -ziele, die Regelungen für die vertikale Kooperation und die dezentrale Umsetzung ihrer Gesundheitspolitik vorsehen.

Zielsetzung

Durch ein integriertes Gesamtkonzept für Gesundheitsförderung und Prävention sollen

  • eine gemeinsame, politikfelderübergreifende Problemsicht erreicht werden,
  • ein übergeordnetes konsensfähiges Leitbild gesundheitsförderlicher und nachhaltiger Entwicklung formuliert und auf der politischen Agenda platziert werden,
  • Ziele und Prioritäten gemäß aktueller Handlungsbedarfe festgelegt werden,
  • die relevanten politischen Fachressorts (insbesondere Gesundheits-, Umwelt-, Wirtschafts-, Sozial-, Stadtentwicklungs- und Bildungspolitik) für gemeinsame Planung und Umsetzung zusammengeführt werden,
  • die ressortspezifischen Programme zur Gesundheitsförderung und zur nachhaltigen umwelt- und sozial verträglichen Entwicklung aufeinander abgestimmt und miteinander vernetzt werden.

Umsetzungsvorschläge

1a) Auf Bundesebene wird eine hochrangige Kommission eingesetzt mit dem (Arbeits-)Titel „Stärkung gesundheitsförderlicher Lebens- und Umweltbedingungen".
Zur Umsetzung bieten sich die folgenden Optionen an:

  • Einsetzen einer Enquete-Kommission durch die Bundesregierung,
  • Bildung einer interministeriellen Arbeitsgruppe unter Federführung des Gesundheits- oder Umweltministeriums und Beteiligung anderer relevanter Ministerien,
  • Einsetzen eines speziellen Sachverständigenrats für Gesundheitsförderung und Prävention,
  • Beauftragung des neu zusammengesetzten Sachverständigenrats für das Gesundheitswesen mit einem Sondergutachten.

Die Einrichtung einer Enquete-Kommission hat für uns die größte Präferenz, da sie nach unserer Einschätzung die beste Gewähr liefern würde, dass sowohl eine breite parlamentarische Diskussion zur Vorbereitung grundlegender gesetzlicher Reformen angestoßen wird als auch wissenschaftlicher und praktischer Sachverstand in die sektorübergreifende politische Arbeit einfließen kann.
Ergänzende Vorschläge, ohne die ein sinnvoll begründeter Rahmenplan nicht denkbar ist, sind:

1b) Die Gesundheitsberichterstattung auf Bundesebene wird zu einem Instrument der informationsgestützten Gesundheitsförderungspolitik ausgebaut.

1c) Auf Länder- und Gemeindeebene werden ebenfalls integrierte Gesundheitsförderungspläne auf der Basis von Informationssystemen, wie der Gesundheitsberichterstattung, erarbeitet.

2. Geeignete Organisationsstrukturen für intersektorale Kooperation schaffen

Ausgangslage

Das schwerwiegendste Hemmnis für die geforderte sektorübergreifende Politik ist auf allen politischen Ebenen die Gliederung von Politik und Verwaltung in Fachressorts mit ihren engen Zuständigkeiten und oft starr reglementierten bürokratischen Handlungsroutinen. Erfahrungen auf allen Ebenen zeigen, wie schwierig es ist, in den überkommenen Strukturen eine sektorübergreifende Politik zu verwirklichen. Die Analyse der genannten Hemmnisse, die berichteten Erfahrungen in erfolgreichen Modellen sektorübergreifender Gesundheitsförderungs- und Nachhaltigkeitspolitik sowie unsere Expertengespräche haben ergeben, dass sektorübergreifende Politik durch geeignete Organisationsstrukturen wirksam gefördert werden kann.

Zielsetzung

Die vorgeschlagenen Organisationsstrukturen haben zum Ziel, die fachbezogenen Strukturen durch geeignete Strukturen mit Querschnittsaufgaben bei der Gestaltung gesundheitsförderlicher Lebensbedingungen zu ergänzen. Zielsetzung ist es, nicht nur fachliche Beratung für Gesundheitsfördermaßnahmen aus anderen Ressorts zu gewährleisten. Vielmehr sollen die sektorübergreifenden Strukturen unter angemessener Beteiligung der Fachressorts die integrierte Problemanalyse und Berichterstattung, Maßnahmenplanung, Umsetzung und Evaluation federführend koordinieren. Die damit vorgeschlagenen Strukturen stehen in Übereinstimmung mit bekannten Zielen der Verwaltungsreform. Ohne dass uns hierzu detaillierter Informationen vorliegen, wissen wir aus einem unserer Expertengespräche, dass in England die Verpflichtung der Einzelressorts zu engerer Zusammenarbeit einer der Haupt-Programmpunkte dortiger Verwaltungsreformen ist. Die vorgeschlagenen Umstrukturierungen können u. E. weitgehend kostenneutral erfolgen, d.h. durch Umschichtungen in den Fachressorts finanziert werden.

Umsetzungsvorschläge

2a) Auf Bundesebene wird eine Stabsstelle "Integrierte Berichterstattung und Gestaltung gesundheitsförderlicher Lebensbedingungen" eingerichtet.
Zur Realisierung werden zwei Optionen vorgeschlagen:
Es wird eine Stabsstelle im Bundeskanzleramt eingerichtet, deren Personalstellen aus dem Etat der Ministerien für Gesundheit, Umwelt, Wirtschaft, Inneres, Arbeit und Soziales zur Verfügung gestellt werden, wobei die Mitarbeiter entsandt werden können. Die Leiterin/ der Leiter der Stabsstelle erhält direkten Zugang zu den höchsten Ebenen aller anderen Ministerien.
Es wird ein ständiger interministerieller Koordinierungsstab mit eigener Geschäftsstelle aus den oben genannten Ministerien gebildet. Die Leitung kann in diesem Modell von einem der beteiligten Fachministerien wahrgenommen werden. Von den genannten Optionen wird a) als überlegen angesehen, weil dieses Modell größere Chancen für die Gewährleistung ressortübergreifender Politik verspricht. Option b) ist aber möglicherweise leichter zu realisieren und wäre ein erster Schritt auf dem Wege zu ressortübergreifenden politischen Planungen und Gesundheitsverträglichkeitsprüfungen geplanter ressortspezifischer Programme und Beschlüsse. Aufgabe des Koordinierungsstabes ist einerseits die horizontale Vernetzung der Fachressorts und die Gewährleistung einer ressortübergreifenden Politik, andererseits die Organisation und Gewährleistung vertikaler Vernetzung zwischen der EU-, Bundes- und Landes- und Kommunalebene.

2b) Ein nationales Steuerungsgremium (Beirat, Gesundheitsförderungskonferenz) für Gesundheitsförderung wird berufen.
Ein Steuerungsgremium auf nationaler Ebene ist als Ort der Auseinandersetzung und Kooperation der relevanten Trägerorganisationen in jedem Fall nötig. Als wichtigste Träger müssten Spitzenverbände der Gesetzlichen Krankenkassen, der Länder und Gebietskörperschaften darin vertreten ein. Zusätzlich wären Wissenschaft und Bürger in nennenswertem Umfang zu beteiligen, um Selbstblockaden der Träger oder durch Träger-Koalitionen zu vermeiden. Besondere Relevanz würde dieses Gremium bekommen, wenn es kontinuierlich die Aktualisierung von Gesamtkonzept und Zielen (s. Vorschlag 1a) sowie die Verwendung finanzieller Mittel eines nationalen Gesundheitsförderungsfonds steuert (s. Vorschlag 3b).

Für die Landes- und Kommunal-Ebene schlagen wir folgende Umsetzungsmaßnahmen vor:
2c) Auf Landesebene werden eine ständige interministerielle Arbeitsgruppe, eine regierungsunmittelbare Stabsstelle als Infrastruktur und eine Landesgesundheitskonferenz oder ein ähnliches Kooperationsgremium eingerichtet.

2d) Auf kommunaler Ebene werden Plan- und Leitstellen als Stabsstellen eingerichtet, die unmittelbar dem Bürgermeisteramt zugeordnet sind.

2e) Auf kommunaler Ebene werden gemeinsame Kooperationsgremien zu integrierter Gesundheitsförderung und zur gesundheitsförderlichen Umweltgestaltung gestärkt (und ggf. neu gebildet).

Diese Gremien gibt es schon weit verbreitet als „Gesundheitsförderungskonferenzen“, „Regionale Arbeitsgemeinschaften für Gesundheit” oder unter ähnlichen Namen. Sie arbeiten eng mit den Plan- und Leitstellen zusammen und gewährleisten die Einbindung der lokalen Akteure und der Bürger in die Planung, Entwicklung und Steuerung von integrierter Gesundheitsförderung. Die Bedeutung dieser Gremien kann vor allem dadurch gestärkt werden, dass sie maßgebliche Steuerungsfunktionen übernehmen, d. h.

  • dass sie ein politisches Mandat bekommen, dem lokalen Parlament Gesundheitsförderpläne und -prioritäten vorzuschlagen,
  • dass sie zu Gesetzesvorhaben und Programmen bezüglich ihrer Gesundheitsverträglichkeit Stellung nehmen,
  • dass sie gemeinschaftlich über einen Fonds bestimmen, aus dem Gemeinschaftsaufgaben der Gesundheitsförderung finanziert werden (vor allem Aufgaben gemäß Ottawa- Charta: Gesundheitsinteressen anwaltschaftlich vertreten; vermitteln und vernetzen),
  • dass sie innovative Ansätze der Gesundheitsförderung materiell und politisch unterstützen,
  • dass sie Anreize für einzelne Akteure der Gesundheitsförderung und deren Aktivitäten geben, z.B. Auszeichnungen durch (Geld-)Preise, Gütesiegel /Zertifizierung oder anteilige Finanzierungen für die Übernahme von „Patenschaften” (Verantwortlichkeiten) einzelner Träger in der Durchführung gemeinschaftlicher Schwerpunkt- Programme.

3. Rechtliche und finanzielle Basis für Gesundheitsförderung absichern

Ausgangslage

Die rechtliche und finanzielle Grundlage für integrierte komplexe Programme der Gesundheitsförderung hat sich als völlig unzureichend erwiesen. Komplexe Programme beziehen sich vor allem auf Gesundheitsförderung in regionalen und institutionellen Lebensräumen (Settings) sowie auf verhältnisbezogene Querschnittsprogramme wie etwa Armutsbekämpfung oder nachhaltige Entwicklung (Lokale Agenda 21). Hier fehlt es an Möglichkeiten der Zusammenführung finanzieller Mittel (Fonds), um gemeinschaftliche Aufgaben finanzieren zu können. Da verhältnisbezogene Maßnahmen in aller Regel auch der Krankheitsverhütung dienen, ist für solche Fonds auch eine Beteiligung der Krankenversicherung, z. T. auch der Unfall und Rentenversicherung vorzusehen. Die heutige Situation ist durch kooperationsverhindernden Wettbewerb insbesondere der Krankenkassen, zunehmend aber auch einzelner Politik-Ressorts untereinander gekennzeichnet. Hinzu kommt eine "Sparpolitik" sowohl im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung als auch der öffentlichen Haushalte, die sich negativ auf alle nicht gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben auswirkt. Hierunter haben Gesundheitsförderung allgemein und speziell die komplexen Querschnittsprogramme zu leiden. Der einzige Bereich, in dem Gesundheit gesetzlich (aber nicht praktisch!) genügend berücksichtigt wird, ist derzeit das Arbeitsschutzgesetz von 1996.

Zielsetzung

Durch Gesetze, Verwaltungsvorschriften und innovative Modelle soll erreicht werden, dass integrierte Gesundheitsförderung, insbesondere settingbezogene Maßnahmen, eine solide rechtliche und finanzielle Basis erhalten und dass die Durchführung und Finanzierung sektorübergreifender Programme vereinfacht und abgesichert wird.

Umsetzungsvorschläge

3a) Gesundheitsförderung wird in Gesetzen stärker zur Geltung gebracht und abgesichert.
Hier bestehen die Optionen:

  • Ergänzung einschlägiger Gesetzeswerke, wie vor allem des Sozialgesetzbuches, der Regelungen zum vorsorgenden Umweltschutz, des Baugesetzbuches mit seinen Paragraphen zu Städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen, der Rahmengesetze für den Öffentlichen Gesundheitsdienst oder Schulgesetze auf Landesebene und anderer mehr,
  • Zusammenfassung aller einschlägigen Gesetze in einem eigenen Gesetzeswerk zur Förderung von Gesundheit und nachhaltiger Entwicklung,
  • neues Gesetz primär zur Absicherung von finanziellen Ressourcen im Rahmen eines Gesundheitsförderungs-Fonds.

Diese Optionen ergänzen sich, sind also nicht als Alternativen, sondern eher als Aufteilung der Gesamtaufgabe in Einzelpakete unterschiedlicher Komplexität zu verstehen. Für die stärkere Berücksichtigung von Gesundheitsförderung in neuen Landesgesetzen gibt es einzelne positive Vorbilder, z. B. ÖGD Gesetze in Bremen und Nordrhein-Westfalen, Schulgesetz in Hamburg. Hier wären aber entsprechende politische Initiativen in allen Bundesländern zu fordern, um Gesundheitsförderung mehr als bisher zur Regelaufgabe in verschiedenen Politikbereichen zu machen.

3b) Es werden Fonds zur integrierten Gesundheitsförderung eingerichtet.
Vorbilder für solche durch ein Gesetz auf nationaler Ebene geregelte Fonds existieren in den Nachbarländern Österreich und Schweiz. Im österreichischen Modell werden die Mittel des Fonds durch Steuergelder aufgebracht, in der Schweiz (Schweizer Stiftung für Gesundheitsförderung) durch einen mit den Krankenversicherungen erhobenen Beitrag pro Versichertem.
In beiden Fällen wird durch diese Mittel aus einem "Topf" die Steuerung gemeinsamen Handelns aller relevanten Träger unter Beteiligung neutraler Fachkompetenz (Wissenschaft) ermöglicht. Hierzu wird ein Beirat mit unterschiedlich weitgehenden Entscheidungsbefugnissen gebildet. Wettbewerbselemente sind in großem Umfang einbaubar, da aus dem Fonds zu finanzierende Projekte und Programme öffentlich ausgeschrieben werden können.
Das Fonds-Modell ist im Prinzip auf allen politischen Ebenen sinnvoll und möglich. Die vertikale Verknüpfung und Arbeitsteiligkeit ist in verschiedenen Varianten denkbar. Diese müssen im Kontext und unter Rahmenvorgaben eines Gesamtkonzepts ausgehandelt werden.

3c) Im Sozialgesetzbuch V wird die Beteiligung der Krankenversicherung an Gemeinschaftsaufgaben der Gesundheitsförderung und Prävention geregelt.
Die aktuellen Diskussionen um die Strukturreform und politischen Beschlüsse der Regierungsparteien sind sich darin einig, dass Gesundheitsförderung und Prävention gestärkt werden sollen, vor allem durch Neuformulierung des § 20. Fonds-Modelle auf den verschiedenen politischen Ebenen wären das geeignete Instrument für die Umsetzung. Die große Mehrheit der TeilnehmerInnen einer kürzlichen Fachtagung der Landesvereinigung Gesundheit e.V. Hannover war für eine dem Schweizer Modell ähnliche Lösung, d.h. Abführung von (geringen) Pro-Kopf-Beiträgen pro Versichertem sowohl für die kommunale Gesundheitsförderung im Sinne der Verhältnisprävention als auch die Förderung von Selbsthilfe-Infrastruktur und Selbsthilfe. Dies ist auch unsere Position.

3d) Neue Finanzierungsquellen für die Gesundheitsförderung werden entwickelt und erprobt.
Fonds-Modelle, insbesondere in Form einer Stiftung erlauben, einen Pool zu bilden, der aus verschiedenen Quellen gespeist wird. Die internationalen Erfahrungen hiermit sind relativ jung und bisher nicht systematisch aufgearbeitet. Als Einstieg in die Diskussion um neue Finanzierungsmodelle bietet sich eine Expertise an, die den internationalen Stand von Ansätzen, die gesammelten Erfahrungen und ggf. wissenschaftliche Evaluationen zusammenfasst.

4. Akteursspezifische Programme entwickeln und einrichten

Ausgangslage

Unsere Übersichtsrecherchen haben ergeben, dass auf internationaler, europäischer, Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene eine Vielzahl von guten Programmen und Initiativen integrierter Gesundheitsförderung unkoordiniert nebeneinander besteht. Insbesondere die von der Zielsetzung fast identischen Programme zur Lokalen Agenda 21 und zur ökologischen Stadtentwicklung, aber auch übergreifende Strategien wie die kommunale Verwaltungsreform weisen zahlreiche implizite Ansätze integrierter Gesundheitsförderung auf. Neben solchen entwicklungsfähigen komplexen Programmen gibt es jedoch auch Verbesserungsmöglichkeiten bei einzelnen Akteuren hinsichtlich spezifischer Aufgaben in der Gesundheitsförderung.

Zielsetzung

Vorrangig geht es um die Vernetzung und Koordination schon bestehender Programme. Zielsetzung der folgenden Vorschläge ist es, Anknüpfungspunkte für Programme unterschiedlicher Akteure zu benennen, die nach unserer Auffassung entsprechende Vernetzungsaufgaben übernehmen können. Daneben sollen auch einzelne Akteure zu stärkerem Engagement motiviert und befähigt werden.

Umsetzungsvorschläge

4a) Die Krankenkassen werden motiviert, sich an Maßnahmen der kommunalen und settingbezogenen Gesundheitsförderung zu beteiligen.
Hierzu müssen Anreizsysteme geschaffen werden, die den Kassen den Einstieg in integrierte Verhältnisprävention und Gesundheitsförderung erleichtern. Da Kassen im Wettbewerb miteinander stehen, müssen Möglichkeiten geschaffen werden, dass ihre Beteiligung an Gemeinschaftsaufgaben öffentlich sichtbar belohnt wird.

4b) Es wird ein Modellprogramm zur Bildung von Infrastruktur für intersektorale Kooperation und zur Förderung von Querschnittsprojekten im ÖGD aufgelegt.
Der Bund und die Länder sollten in einem Modellprogramm Plan- und Leitstellen des ÖGD fördern, die federführend gemeinsame kommunale Programme zur Gesundheitsförderung, sozialen Stadt(teil)-Entwicklung und Lokalen Agenda 21 planen und koordinieren. Als ein Kriterium der Mittelzuweisung sollte die Verpflichtung der Modell-Kommune zur ressortübergreifenden Gesundheitsförderungspolitik festgeschrieben werden.

4c) Es wird ein Modellprogramm aufgelegt, das die Beteiligung von Städten und Gemeinden an internationalen und nationalen Netzwerken der Gesundheitsförderung und Agenda 21 Projekten unterstützt.
Innovationsprozesse in der Gesundheitsförderung und nachhaltigen Entwicklung werden durch die Vernetzung von besonders engagierten Städten und Gemeinden beschleunigt und verbreitet. Ein Modellprogramm könnte mit geringen Mitteln solche Prozesse fördern. Vergabekriterien sollten Innovationscharakter und Bereitschaft zur Mobilisierung eigener Ressourcen sein.

4d) Im Bildungssystem wird eine Kampagne zur fächerübergreifenden Gesundheitsförderung gestartet. Dazu werden u. a. einschlägige Ausbildungsgänge überarbeitet.

5. Programm- und Akteurskoalitionen aufbauen

Ausgangslage

Vieles spricht dafür, dass Gesundheit einen niedrigen Rang auf der politischen Agenda einnimmt und dass integrierte Gesundheitsförderung vor allem dann eine Umsetzungschance hat, wenn sie mit anderen Zielen, z. B. Organisationsentwicklung und Qualitätsmanagement oder Programmen der Stadtentwicklung gekoppelt wird. Die Lokalen Agenda 21 Prozesse sind das beste Beispiel für "implizite Gesundheitspolitik". Nach unserer Auffassung besteht in vielen Bereichen die Möglichkeit, Ziele der Gesundheitsförderung durch "Programmkoalitionen" zu fördern. Bei derartigen Koalitionen können die Koalitionspartner durch wechselseitige Ergänzung und Synergieeffekte profitieren. Ausgangsfrage dabei sollte nicht primär sein, was andere Programme und Akteure für Gesundheit leisten können, sondern umgekehrt, was Gesundheit zur Erreichung anderer Ziele beitragen kann.

Zielsetzung

Ziele der vorgeschlagenen Programmkoalitionen sind:

  • verbesserte Chancen, Gesundheit implizit oder explizit auf die Tagesordnung zu bringen,
  • verbesserte Chancen der Umsetzung integrierter Gesundheitsförderung,
  • Bündelung von Wissen und Ressourcen,
  • arbeitsteilige Bewältigung von gesellschaftlichen Querschnittsproblemen,
  • Vernetzung und Bewusstseinswandel bei den Beteiligten.

Umsetzungsvorschläge

5a) Der "Aktionsplan Umwelt und Gesundheit" wird um die salutogenetische Perspektive ergänzt und im Rahmen eines intersektoralen Schwerpunktprogramms umgesetzt.
Der gerade veröffentlichte "Aktionsplan Umwelt und Gesundheit" enthält wertvolle Vorschläge für eine systematische Verbesserung der bi-sektoralen Zusammenarbeit im Bereich Gesundheit und Umwelt, behandelt die Thematik allerdings schwerpunktmäßig aus pathogenetischer Perspektive. Eine Erweiterung und Integration von Vorschlägen aus salutogenetischer Perspektive bietet sich als kurzfristiger Schritt an, um die beiden Sektoren auch unter Gesundheitsförderungsaspekten enger miteinander zu verknüpfen.

5b) Für Kommunen mit Lokalen Agenda 21 Prozessen werden Strukturen und Anreize geschaffen, Gesundheitsförderung in den Prozess zu integrieren (und umgekehrt).
Gegenwärtig sind sehr viel mehr Kommunen Mitglieder des Agenda- als des Gesunde Städte- Netzwerks. In einem ersten Schritt sollten Anreize (Information, organisatorische und materielle Unterstützung) geschaffen werden, um die Agenda-Kommunen zur systematischen Integration von Aspekten der Gesundheitsförderung zu veranlassen. Ein erster Schritt zu stärkerer Kooperation wäre die Bildung einer Koordinationsstelle auf der Ebene der entsprechenden nationalen Netzwerke. Die Stelle sollte einen Beirat aus relevanten Akteuren, insbesondere Kommunalen Spitzenverbänden und Wissenschaft, haben. Von dieser Stelle aus könnte die intensivere Kommunikation und Kooperation auf dezentralen Ebenen stimuliert und vermittelt werden.

5c) Gesundheitsförderung wird stärker in die Stadtplanung und -entwicklung integriert.
Sowohl die ökologische wie auch die soziale Stadtentwicklung bieten zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten für die stärkere Berücksichtigung von Gesundheitsbelangen. Hierzu sollten spezifische Prüfungen von Alltagspraxis und Spezialprogrammen des Politisch- Administrativen Systems erfolgen, inwieweit die Gesundheitsbelange (entsprechend dem Baugesetzbuch) tatsächlich zur Geltung kommen.

Weitere ergänzende Vorschläge sind:
5d) Es werden konzeptionelle und rechtliche Voraussetzungen für integrierte Umwelt-, Sozial- und Gesundheitsverträglichkeitsprüfungen und Technikfolgenabschätzung entwickelt.

5e) Die bestehenden Konzepte und Normen zum Öko-Audit werden zu einem Öko- und Gesundheits-Audit erweitert und es werden entsprechende ISO-Normen entwickelt.

5f) Im Öffentlichen Dienst – Verwaltung, Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsystem – werden Programme zur Verwaltungsreform und Qualitätsverbesserung mit Maßnahmen zur Gesundheitsförderung verbunden.

5g) In der Politik werden Qualitätsmanagement und Politik-Audits für politische Kultur und intersektorale Kooperation eingeführt.

5h) Innovative Interventionsprogramme werden durch flankierende Forschungsprogramme begleitet und evaluiert.

Grundsätzlich ist hier die politische Steuerungsaufgabe zu erwähnen, Interventions- und Forschungsprogramme für Public Health und Gesundheitsförderung enger miteinander zu verkoppeln. Dies kann einerseits im Rahmen von Mitteln für Modellversuche nach § 63 ff. SGB V geschehen. Kurzfristig sollte auch in dem vor der Verabschiedung stehenden Programm von Bundesministerien (BMG, BMBW) und Krankenkassen ein eigener Schwerpunkt für die Evaluation und Qualitätssicherung von Gesundheitsförderung vorgesehen werden.

6. Innovationsimpulse stärken: Informationspools und Kompetenznetzwerke

Ausgangslage

Wir sind der Auffassung, dass die vorgenannten Vorschläge in ihrer Gesamtheit ein großes Innovations- und Wertschöpfungspotential für alle Ebenen des politischen Systems der Bundesrepublik darstellen. Die Unsicherheit über Qualität und Wirksamkeit von Gesundheitsförderung ist zwar derzeit noch groß. Es sind jedoch mehr Wissen und Erfahrungen vorhanden als leicht zugänglich und bekannt sind. Gleichzeitig ist mit einer raschen Zunahme des Wissens in Gesundheitsförderung und Prävention zu rechnen. Das vorhandene Wissen und Erfahrungspotential lässt sich durch geeignete flankierende Maßnahmen im Sinne einer Kompetenzoffensive und Wissensvernetzung besser nutzen und vergrößern.

Zielsetzung

Ziel der folgenden Vorschläge ist die Ausschöpfung von Innovationspotentialen durch neue Informationstechnologie, Vernetzung und neue Kooperationsverfahren.

Umsetzungsvorschläge

6a) Ein Referenz- und Transparenz-Zentrum für Gesundheitsförderung ("Nationale Clearingstelle") wird als Bund-Länder-Einrichtung gegründet.

Aufgaben wären:

  • die systematische Dokumentation, Aufbereitung und Bewertung von Gesundheitsförderungsaktivitäten,
  • Beratung, z.B. bei Modellvorhaben,
  • Stellungnahmen und Qualitätszertifikate für Maßnahmen verschiedener Träger, insbesondere der Krankenkassen,
  • Organisation von Rahmenvereinbarungen für die Kooperation der Träger,
  • Kriterien-Entwicklung und fachliche Empfehlungen zu Qualitätsmanagement und Evaluation in der Gesundheitsförderung,
  • Qualifizierungsangebote für Praxis und Wissenschaft.

Eine solche Einrichtung könnte auch durch Aufgabenverlagerungen in bestehenden Institutionen, z.B. der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, geschaffen werden. Sie hätte primär wissenschaftlichen Charakter und wäre eine Art Schiedsinstanz in Fachfragen. Für ihre Aufgaben wäre ein Beirat oder "Aufsichtsrat" sinnvoll, in dem alle relevanten Träger der Gesundheitsförderung und die relevanten Wissenschaftsdisziplinen vertreten sind.

6b) "Kompetenznetzwerke" ressortübergreifender Planung und Politik werden geschaffen und gefördert.

6c) Die bestehenden Informationssysteme mit "Modellen guter Praxis" werden erweitert und allgemein zugänglich gemacht.

Schlussbemerkungen

Alle diese Vorschläge bedürfen einer verstärkten Bürgerbeteiligung. Formen des Dialogs zwischen Politik, Verwaltung, Experten auf der einen und Bürgern auf der anderen Seite lassen sich unterteilen in:

  • Ansätze für Bürgerbefragungen,
  • Information und Meinungsbildung,
  • Beteiligung und Kooperation.

Im Gutachten für die TAB haben wir die Fülle möglicher Dialogformen aufgezeigt. Neben den klassischen Formen der Bürgerbefragung, Öffentlichkeitsarbeit und Informationsveranstaltungen haben sich in Programmen der Gesundheitsförderung vor allem aktivierende und partizipative Dialogformen herausgebildet. Zu nennen sind hier insbesondere:

  • Bürgerversammlungen mit Diskussionscharakter,
  • Runde Tische, themen- und quartiersbezogene Foren und Konferenzen,
  • Bürgerbeiräte und erweiterte Ausschüsse,
  • Zukunftswerkstätten, Zukunftskonferenzen, Open Space Konferenzen,
  • Planungszellen und Bürgergutachten,
  • Mediationsverfahren.

Die genannten Dialogformen können hier nicht im Einzelnen abgehandelt werden. Im Prinzip sind sie bekannt. Es fehlt bisher jedoch die strukturelle Förderung aktivierender und partizipativer Dialogformen. Die Fülle der Vorschläge könnte den Eindruck entstehen lassen, dass dies ein "Wir wollen alles und das sofort!"-Programm ist. Daher ist noch einmal festzustellen, dass dies Politik-Optionen sind, die trotz ihrer teilweisen Abhängigkeit voneinander sicher nicht alle auf einmal und flächendeckend umgesetzt werden können. In einem Punkt möchten wir jedoch unmissverständlich und scharf formulieren: Es besteht dringender Handlungsbedarf, Gesundheitsförderung im Sinne von Verhältnisprävention und Gestaltung gesundheitsförderlicher Lebens- und Umweltbedingungen aus dem "Niemandsland organisierter Nicht-Verantwortlichkeit" herauszuholen! Dazu bedarf es eines Konzepts für die klar geregelte, arbeitsteilige Kooperation der verschiedenen Handlungsträger und Politik- Ebenen untereinander. Als Prinzip sollte dabei gelten, so wenig wie möglich vorzuschreiben und soviel wie möglich der verbindlichen Selbstorganisation der Träger zu überlassen. Diese verbindliche Selbstorganisation ist aber als Aufgabe gesetzlich vorzugeben.

Wichtige für jeden Träger zu beantwortende Fragen sind dabei:

  • Welches sind die trägerspezifischen Aufgaben und welches die (Pflicht-)Beiträge zu Gemeinschaftsaufgaben?
  • Welche ideellen, personellen und materiellen Ressourcen dürfen, können und müssen eingesetzt werden?
  • Welche Anreize für Engagement, Kooperationsbereitschaft und Qualität gibt es?
  • Welches sind die Möglichkeitsräume für eigene Initiativen und wo sind die Grenzen der Freiräume?

Literatur

Trojan, A. & Legewie, H. (1999). Stärkung gesundheitsförderlicher Lebensbedingungen. Gutachten für die TAB (Büro für Technikfolgen- Abschätzung). Hamburg/ Berlin. Umweltbundesamt (1997). Nachhaltiges Deutschland: Wege zu einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung. Berlin: Erich Schmidt Verlag.

WHO Euro (1997 a). Sustainable Development and Health: Concepts and Principles and Framework for Action for European Cities and Towns. European sustainable Development and Health, Series No. 1. Kopenhagen: EUR/ICP/POLC 06 03 05 A.

WHO Euro (1997 b). City Planning for Health and Sustainable Development. European sustainable Development and Health, Series No. 2. Kopenhagen: EUR/ICP/POLC 06 03 05 B, S. 54.

Endnoten

  1. Gutachten "Stärkung gesundheitsförderlicher Lebensbedingungen – Die salutogenetische Perspektive im Politikfeld Gesundheit und Umwelt" für den Deutschen Bundestag (Büro für Technikfolgenabschätzung TAB am Deutschen Bundestag, 1999, 370 S.). Buchveröffentlichung in Vorbereitung: Trojan & Legewie. Nachhaltige Gesundheit und Entwicklung. Leitbilder, Politik und Praxis der Gestaltung gesundheitsförderlicher Umwelt- und Lebensbedingungen. Frankfurt: VAS (erscheint Herbst 2000). Eine komprimierte Fassung der Strategievorschläge erschien zuletzt als: Trojan, A. & Legewie, H. (2000). Stärkung gesundheitsförderlicher Lebensbedingungen durch eine systematische Gesundheitspolitik. In: Gesundheitsakademie e.V. (Hg.): Salutive. Beiträge zur Gesundheitsförderung und zum Gesundheitstag 20000, S. 51-70. Frankfurt/M.: Mabuse-Verlag.
  2. Der Abschlußbericht der TAB zum Gesamtprojekt Gesundheit und Umwelt kann bestellt werden bei: TAB, Büro für Technikfolgen-Abschätzung; Rheineweg 121, 53129 Bonn
  3. Unser umfassendes Gutachten „Stärkung gesundheitsförderlicher Lebensbedingungen“ wird derzeit für eine Buchveröffentlichung überarbeitet. Die in diesem kurzen Beitrag vielleicht etwas unvermittelt erscheinenden Handlungsoptionen und Vorschläge für die Bürgerorientierung resultieren aus einer umfassenden Situationsanalyse. Bis zum Erscheinen des Buches lassen wir potentiellen Interessenten gern ausführlichere Zusammenfassungen des Gutachtens zukommen.

Autoren

Alf Trojan, Prof. Dr. med., Dr. phil., M.Sc. (London)
Mediziner, Soziologe, Medizinsoziologe (postgraduiert). Abteilungsleiter im Institut für Medizin-Soziologie, Universität Hamburg, seit 1985. Arbeitsschwerpunkte: Gesundheitsfördernde Stadtpolitik, Bürgerbeteiligung, Soziale Netzwerke und Selbsthilfe, Kommunale Gesundheits- und Sozialpolitik.
Öffnet ein Fenster zum Versenden einer E-Mailtrojan@bitte-keinen-spam-uke.uni-hamburg.de

Heiner Legewie, Prof. Dr. med., Dr. phil.
Professor für Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie an der Technischen Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Gesundheitsförderung und Stadtentwicklung, Kooperations- und Konfliktforschung, Methoden der qualitativen Sozialforschung.
Öffnet ein Fenster zum Versenden einer E-Maillegewie@bitte-keinen-spam-ztg.TU-Berlin.de



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