Reinhard Rudeck [Forum Gemeindepsychologie, Jg. 15 (2010), Ausgabe 2]
Seit ihren Anfängen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hatte Erziehungsberatung die Aufgabe, Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen (Hundsalz, 2008, S. 15). Dazu soll sie Fehlentwicklungen und Benachteiligungen erkennen und zusammen mit der Familie Gegenmaßnahmen entwickeln (Hundsalz, 2006, S. 61). Erziehungsberatung "bietet Hilfen an, wenn Fragen, Konflikte und Krisen bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen auftreten, aber auch bei Gefährdungen und Störungen ihrer psychischen Entwicklung." Sie sucht "ein möglichst hohes Maß an seelischer Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien zu erreichen, indem sie dazu beiträgt, dass sich junge Menschen ihren Fähigkeiten entsprechend entfalten und aktiv mit den Anforderungen der Umwelt auseinandersetzen können" (Abel, 1998, S. 47).
In über 1.000 Erziehungs- und Familienberatungsstellen im gesamten Bundesgebiet bieten heute qualifizierte Fachkräfte in multidisziplinär besetzten Teams "Beratung für Kinder, Jugendliche und Eltern an. [...] Die Beratung ist streng vertraulich und kostenfrei. Viele Beratungsstellen sind auf die Beratung von Migrantenfamilien oder auf die Beratung von Familien mit Säuglingen und Kleinkindern besonders eingestellt." (Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V., 2010) Das Angebot der Erziehungsberatungsstellen greift aktuellen gesellschaftlichen Bedarf auf und stellt etwa Beratung für Paare in Trennung und Scheidung oder Alleinerziehende zur Verfügung, entwickelt neue Formen wie die Online-Beratung für Eltern und die Chats für Jugendliche und ist bemüht, insbesondere auch "arme Familien gut [zu] beraten" (Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V., 2004). Erziehungsberatung verfügt innerhalb der Jugendhilfe über den Vorteil des direkten und diskreten Zugangs zu ihren Dienstleistungen, ohne dass eine Bewilligung als Einzelmaßnahme nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) erforderlich wäre.
In den gut einhundert Jahren ihrer Geschichte hat die Institutionalisierung der Erziehungsberatung verschiedene Phasen durchlaufen. Die Entwicklung in der Phase nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich dekadenweise nachzeichnen. In den Jahren bis hinein in das erste Gründungsjahrzehnt der Bundesrepublik trug Erziehungsberatung mit ihrer Arbeit zur demokratischen Entwicklung bei und erfüllte damit gleichsam einen gesellschaftlichen Bildungsauftrag. (Schrödter, 2006, S. 20) Methodisch arbeitete Erziehungsberatung in den 1950er Jahren tiefenpsychologisch, individuumszentriert und fokussiert auf Diagnostik.
Die 1960er Jahre waren gekennzeichnet durch einen Aufschwung der Testdiagnostik und damit verbunden mit einer starken naturwissenschaftlichen Orientierung. In den 1970er Jahren erweiterten zunächst Gesprächstherapie und Verhaltenstherapie die beraterischen Handlungskompetenzen, sodass ab da von einem Methodenpluralismus gesprochen wurde. Damit entstand jedoch zugleich auch eine zunehmende Therapeutisierung (Hundsalz, 1995, S. 33). Mitte der 1970er Jahre überlagerten und vermischten sich drei Reformprozesse, die sich auch auf die Entwicklung der Erziehungsberatung erheblich auswirkten: In dem "Bericht zur Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland" ("Psychiatrie-Enquête", 1995) wurde die Erziehungsberatungsstelle in das regionale Versorgungssystem einbezogen (Abel, 1998, S. 44; Menne, 1989, S. 178), auch wenn die Funktion, die ihr dabei zugewiesen wurde, im präventiven Vorfeld der psychiatrischen Versorgungskette angesiedelt war; in der Praxis kam es in dieser Zeit zu einem regelrechten "Beratungsboom", und mit der Expansion des Faches Psychologie an den Universitäten entstand drittens eine "Inflation der Therapieformen" (Nagel & Seifert, 1979; Geib, Rosarius & Trabant, 1994, S. 288).
Dieser Psychoboom der 1970er Jahre prägte auch die Erziehungsberatung, die sukzessive ihren Schwerpunkt von der Diagnostik hin zur Beratung verlagerte. In den 1980er Jahren etablierte sich die Familientherapie in den Erziehungsberatungsstellen, für die sie zusammen mit der Familienberatung zu einer wachsenden Aufgabe wurde. Mit ihr kam das Umfeld der Menschen in den Blick, begrenzt allerdings in erster Linie auf das familiale System. Die Erweiterung der therapeutischen Kompetenzen und die zunehmende Therapeutisierung rückten die Erziehungsberatung jedoch auch näher an das Medizinische Krankheitsmodell heran, verwischten den Unterschied zur Beratung und leiteten einen Abgrenzungsdiskurs "Therapie versus Beratung" ein, der von Zeit zu Zeit auch heute noch auflebt. Mit der Zunahme therapeutischer Verfahren in der Beratung wurden zugleich deren Sprachgebrauch, Normen und Strukturierungsprinzipien (Menne, 2004, S. 10) übernommen. Das erschwerte in vielen Fällen den Zugang zur Beratung oder zog einen schnellen Abbruch nach sich und brachte der Erziehungsberatung den Vorwurf der schichtspezifischen Selektion ein.
Heiner Keupp und der kritische Diskurs um die Freiheit der Menschen
Als Heiner Keupp 1978 den ersten großen Anlauf nahm, eine gemeindepsychologische Perspektive zu formulieren (Keupp, 1978), wurde der kritische Diskurs fachlich, theoretisch und politisch auf dem Feld der Psychiatrie geführt, da menschliches Irren (Dörner & Plog, 1978) dort am deutlichsten zur Einschränkung individueller Souveränität und Entmündigung führte, und außer im Strafvollzug die bürgerlichen Rechte nirgends so eng verknüpft sind mit Kontrolle und Fremdbestimmung.
In dieser Phase gibt es auch die ersten zentralen Berührungspunkte von Heiner Keupps Denken mit dem Bereich der Beratung und Therapie. Konsequent wandte er sich gegen den aufkommenden Therapismus der 1970er Jahre, ohne jedoch in Abrede zu stellen, dass den "autoplastischen Folgen psychischer Verarbeitungsweisen [...] auch mit den Möglichkeiten psychotherapeutischer Arbeit Rechnung [ge]tragen [werden] muß" (Keupp, 1981, S. 54). Wiederholt stellte er heraus, dass das "Subjekt notwendigerweise zum Baumeister des Sozialen, seiner eigenen Gemeinde oder Lebenswelt" wird. Menschen sollen befähigt werden, "sich selbst solche Zusammenhänge zu schaffen", denn "über selbstorganisierte soziale Zusammenhänge kann die kollektive Handlungsfähigkeit als Voraussetzung gesellschaftlicher Emanzipation gefördert werden" (Keupp, 1992, S. 59). Er war geleitet von der "Absicht, (l) psychologisches Handeln weg von einer therapeutisch-technischen Orientierung hin auf die Lebenswelt der Betroffenen zu orientieren; (2) eine kritische Reflexion der unerwünschten Nebenfolgen ausgreifender professioneller Zuständigkeiten anzustoßen; und (3) professionalisierte und institutionalisierte Hilfen als Ressourcen für die Unterstützung von Menschen in Not bei der produktiven Bewältigung ihrer Alltagskonflikte zu sehen und zu entwickeln" (Keupp, 1995a, S. 269).
"Nach meinem Verständnis von Subjektivierung bedeutet deren Realisierung in der psychosozialen Tätigkeit das Aufnehmen der subjektiven Deutungsmuster mit dem Ziel, sie als idiographische Verarbeitungsweisen der sozialen Lebensbedingungen zu reflektieren, die der Subjektwerdung spezifische Restriktionen auferlegen." "Für psychosoziale Institutionen, die in lebensweltnaher Arbeitsweise das Mandat haben, Individuen zu eigenen Problemlösungen zu ermuntern, besteht die Chance, bei der Bearbeitung individueller Leidensprozesse deren Verwobenheit in die Strukturen der Alltagswelt aufzunehmen und die Realisierung von Subjektivität als Befähigung zur Teilnahme an kollektiven Problemlösungen zu unterstützen" (Keupp, 1981, S. 54).
Die Jahre nach der Psychiatrie-Enquête waren gefüllt von dem Bemühen, gemeindenahe ambulante Dienste aufzubauen und der Anstaltspsychiatrie eine lebensweltlich orientierte Versorgung entgegenzusetzen. Alle Energie galt dem Aufbau einer psychosozialen Versorgungsstruktur, in deren Zentrum die sozialpsychiatrischen Dienste standen. Man nutzte verantwortungsbewusst administrative Strukturen und baute als bayerische Sektion der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (BayGSP) einen solchen Dienst als reformerische Alternative auf. Mit hohem moralischem Anspruch wurde Druck ausgeübt, als dürfe das Projekt auf keinen Fall scheitern. Dies prägte eine zeitlang die Dynamik der damaligen Diskussionen, die polarisierend und nicht integrierend geführt wurden. Es gab heftige Auseinandersetzungen, und die Appelle, nichttherapeutisch arbeiten zu sollen, wurden gerade denen gegenüber verschärft, die ohnehin schon mit hohen Ansprüchen angetreten waren und fortschrittliche Praxis im Übergangsbereich von therapeutisch beeinflusster und lebensweltorientierter Beratung zu verwirklichen suchten. Auf institutioneller Ebene wurde dieser Druck noch intensiviert durch die forcierte Unterstützung der Selbsthilfeinitiativen.
Die Jugendhilfe und mit ihr die Erziehungsberatung lagen abseits dieses Aktionsfeldes. Daher kam das Thema "Erziehungsberatung" einst zu Heiner Keupp, gleichsam als hätte es ihn gesucht und nicht umgekehrt. In dem "Handbuch in Schlüsselbegriffen" zur psychosozialen Praxis (Keupp & Rerrich, 1982) wird das Tätigkeitsfeld "Erziehungsberatung" nur marginal erwähnt. Um die Mitte der 1980er Jahre nahm Heiner Keupp dann das Feld der Jugendhilfe und deren Praxis verstärkt in den Blick (In München-Neuperlach: Forschungsprojekt "Lebenswelt und Familienwirklichkeit", Beirat im Sozialpsychiatrischen Dienst, Beirat im SOS-Familienzentrum, Beratung im Vertiefungsfach Sozialpsychologie, Tagung "Erziehungsberatung zwischen innovativem Anspruch und finanziellem Engpaß", 1994 mit der "Münchner Erklärung zur Erziehungsberatung"). 1990 trug er zu dem achten Kinder- und Jugendbericht mit einer eigenen Expertise bei (Keupp, 1990), und neunzehn Jahre später leitete er dann die Kommission zum 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung.
Suche nach Orientierung - Suche nach den neuen Sicherheiten
Der besondere Stellenwert, den die institutionelle Erziehungsberatung nach wie vor hat, gründet auch in dem Bedarf einer Gesellschaft, die im Laufe der Entstrukturierung und Enttraditionalisierung an Orientierungskraft eingebüßt hat. Sie lässt heute eine Vielfalt an Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten zu und bietet jedem die Freiheit, seinen Lebensentwurf individuell zu gestalten. Sie fordert aber auch die Flexibilität, sich permanent und immer schneller auf Veränderungen einzustellen. Beschleunigung, Dynamisierung, Verkürzung und Verdichtung sind zentrale Kennzeichen spätmoderner Gesellschaften, in denen sich die individuelle Autonomie neuen Imperativen von Flexibilität, Effektivität und Passgenauigkeit ausgesetzt sieht (Lüders, 2007, S. 5). Die Problemlagen werden komplexer und komplizierter, und die ohnehin "mangelnde Balance zwischen Risiken und Bewältigungsressourcen wird dadurch noch unausgeglichener, dass immer mehr gesellschaftliche Erwartungen an Heranwachsende und Erwachsene adressiert werden" (Keupp, 2009). Die Erosion von Lebenswelten und die Veränderung und Auflösung von sozialen Zusammenhängen sind die Kehrseite der Veränderungsdynamik und Ausdifferenzierung mit ihrem scheinbaren Zugewinn an individueller Freiheit, deren Chancen zugleich existenzielle Risiken darstellen (Winkler, 1996, S. 23). Familiäre Konstellationen sind brüchig und überdauern häufig keine Erziehungsperiode, persönliche Beziehungen sind flüchtig wie die Moderne.
Und so hat auch "Erziehung [...] ihre alte Sicherheit verloren." Konnten vormals noch Erwartungen an die Kinder aus den eigenen Erfahrungen heraus gestellt und begründet werden, so ist diese Sicherheit angesichts der Dynamisierung heute immer weniger gegeben. "Erziehung ist längst zu einem öffentlichen Thema geworden" (Scheuerer-Englisch, Hundsalz & Menne, 2008, S. 7) und "Pädagogik in die Mitte einer Gesellschaft ein[ge]rückt, die ansonsten keine Mitte mehr hat" (Winkler, 1996, S. 32). Die zunehmende Pädagogisierung des Alltags ist Ausdruck dafür, dass Eltern "eine Vorstellung [fehlt], wie Kinder sich verhalten. Erziehungsunsicherheit ist für sie kennzeichnend" (Menne, 2009, S. 367), und Erziehungsziele sind in dem Maße unklar, wie es die eigenen Lebensorientierungen sind (Giesecke, 1982, S. 357). Dabei soll "durch Erziehung [...] die jüngere Generation für ihre Zukunft ausgerüstet werden, [...] aber für diese Zukunft ist kaum mehr als in Umrissen erkennbar, was dabei auf die heute jungen Menschen zukommen wird, wenn sie erwachsen sind. Welche Qualifikationen und Kompetenzen müssen Kindern heute vermittelt werden, damit sie sich morgen behaupten können im globalen Wettbewerb der Produktionsstandorte und Arbeitsmärkte?" (Schrapper & Zimmer, 2006, S. 16). Für die Menschen ergibt sich in den letzten Jahren eine immer größere Suche nach Orientierung, und damit erhöht sich auch der Beratungsbedarf (Hundsalz, 2008, S. 16).
Von diesen Anforderungen und Unsicherheiten sind die Fachkräfte der Beratungseinrichtungen, die selbst in diesen Bedingungen leben, ebenfalls betroffen und müssen Orientierung finden, sind sie doch Teil der gesellschaftlichen Entwicklungsdynamik, zu deren Auswirkungen sie um Rat und Orientierung gefragt werden. Die Instanz, die in Sachen Erziehung beraten und Unterstützung geben soll, zeigt sich ebenfalls verunsichert. Ihre Rahmenbedingungen werden enger, einem kontinuierlich steigenden und sich verändernden Bedarf stehen seit Jahren stagnierende Ressourcen gegenüber, sodass immer weniger Zeit zur Verfügung steht, und der Leistungsumfang eingeschränkt werden muss: Kinder erhalten kaum noch therapeutische Unterstützung (Menne, 2009, S. 369) und Erziehungsberatung ist mittlerweile eine kurzfristige Hilfe geworden (Hundsalz, 1995). Zugleich sieht sich Erziehungsberatung konfrontiert mit einer Zunahme psychischer Auffälligkeiten (Hundsalz, 2008, S. 17-18) und Probleme, die von der frühen Kindheit bis hin zur Hochstrittigkeit nach der Scheidung der Eltern reichen (Scheuerer-Englisch et al., 2008, S. 9). Die sich "zuspitzenden Problemlagen" (Hundsalz) spiegeln sich auch in den Themen der bke-Jahrestagung 2010 wider: Erziehungsberatung wird zunehmend mit Zwangskontexten und Kontrolle konfrontiert; Familien in prekären Lebenslagen, Armut und Entmutigung, Grenzverletzungen und Beziehungsabbrüche, fehlende Teilhabe an Bildung und Ausbildung, Folgen von Arbeitslosigkeit, schlechtere Gesundheitsversorgung, Mangel an Entfaltungsmöglichkeiten, ein schwieriger werdender Zugang zum gesellschaftlichen Leben - das sind die Rahmenbedingungen, aus denen die künftigen Aufgaben der Erziehungsberatung erwachsen.
Hoffnungslos positiv mit Empowerment und Sinn für die Möglichkeiten: Heiner Keupp
Heiner Keupp wurde vom mahnenden Kritiker einer allzu therapeutisch ausgerichteten Beratung, welche die Mündigkeit ihres Klientels unterschätzt, zu einem ihrer wichtigen Wegbegleiter. Sein dauerhafter Versuch, "das gehäufte Auftreten psychischer Reaktionsmuster in spezifischen gesellschaftlichen Kontexten als (nicht gelingende) Verarbeitungsformen spezifischer Lebenslagen und der aus ihnen folgenden Belastungen verständlich zu machen" (Keupp, 1981, S. 49), hat ihn den unverzichtbaren Versorgungsauftrag der Erziehungsberatung betonen lassen und ihr zugleich essentielle Impulse für Weiterentwicklung und Standortbestimmung gegeben (etwa: Keupp, 1986; 1995b; 9.9.2005; 1998; 2008; 27.6.2008). Dass die Jugendhilfe und im Besonderen die Erziehungsberatung beeinflusst sind von Ideen und Konzepten der Gemeindepsychologie, ist sehr stark Heiner Keupp mit seinen zahlreichen engagierten Vorträgen und Veröffentlichungen zu verdanken. Er thematisiert die Metaebene und liefert Orientierung über die desorientierender werdende Welt. Insofern interpretiert er auf gesellschaftlicher Ebene das, was die Berater in ihrem Alltag an Verunsicherungen und Ratlosigkeit ihrer Klienten erleben.
Bei alledem ergreift er Partei für das Individuum und seine persönlichen Vorstellungen und formuliert Zielperspektiven für dessen Entwicklung - orientiert an Werten wie der Eigenpersönlichkeit des Kindes, das als Subjekt mit eigenen Vorstellungen von seinem Leben und dessen Verwirklichung Lebenskohärenz, Lebenssouveränität und Selbstorganisationsfähigkeit erlangen soll, getragen von einbettenden Kulturen und der Erfahrung von Zugehörigkeit, Anerkennung, Ermutigung, Vertrauen. Über die Stärkung seiner Ressourcen durch Empowerment und Beteiligung in der Dialektik von Bezogenheit und Autonomie findet der Heranwachsende Lebenssinn, Lebensqualität, Lebensfreude und seine eigene Identitätspassung, findet Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit. Die hiermit verknüpfte "Ermutigung zum aufrechten Gang" wurzelt bei Heiner Keupp tief in den Gedanken einer "Erziehung zur Mündigkeit" (Adorno, 1971).
Aus einer gesellschaftsbezogenen sozialpsychologischen Sicht, die das Subjekt im Kontext seiner objektiven Bedingungen zu begreifen sucht, stellt Heiner Keupp konsequent und kontinuierlich die Frage, wie Subjekte in Zeiten der Veränderung und des gesellschaftlichen Umbruchs ihre Identität und ihre Lebensperspektiven entwerfen und wie sie diese Entwürfe zu realisieren versuchen. Auf der Grundlage dieser Analysen formuliert er seine Anregungen und Hinweise für die verschiedenen psychosozialen Praxisfelder: "Psychosoziale Praxis kann nur dann adäquate Antworten auf subjektive Probleme von Menschen entwickeln, wenn sie ihre kritische Passung zu den sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen findet" (o. A.). Nach wie vor gilt, was er 1995 anlässlich des 60. Geburtstags von Hans Thiersch geschrieben hatte: "In den vielfältigen sozialen Bewegungen drücken sich auch tiefgreifende gesellschaftliche Wandlungsprozesse aus, die für die Subjekte selber und vor allem auch für die Psychologie neue Kontextualisierungen erfordern. Soziokulturelle Gesamtdeutungen sind sicherlich die schwierigsten wissenschaftlichen Interpretationsleistungen, aber sie sind unabdingbar, wenn das Erleben und Handeln von Individuen in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext verstanden werden sollen" (Keupp, 1995a, S. 271).
Literatur
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Autor
Dipl.-Psych. Reinhard Rudeck rudeck.spi@bitte-keinen-spam-sos-kinderdorf.de
Reinhard Rudeck, Dipl.-Psych., Leiter des Sozialpädagogischen Instituts (SPI) des SOS-Kinderdorf e.V., Arbeitsschwerpunkte: Ressourcenunterstützende Handlungsansätze in den Praxisfeldern und Institutionen der Jugendhilfe, Forschung im Bereich der stationären Hilfen der Erziehung, beteiligungsorientierte Entwicklungsprozesse in familialen und organisationalen Systemen, Jugendhilfeplanung, Strategieentwicklung in Non-Profit-Organisationen.
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